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Jüdisches Leben in Oestereiden

1. In Oestereiden wohnende Juden

Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts werden in der „landesherrlichen Judenordnung“ in Oestereiden lebende Juden genannt.

Erwähnt wird, dass die hier ansässigen Juden Steuern und Kriegsbeiträge zu entrichten hatten. Teilweise hatten sie Knechte und Mägde beschäftigt. Hieraus lassen sich Rückschlüsse auf ihre vermutlich nicht schlechte ökonomische Situation ziehen.
Für das Haus Ringe (Nr. 75), spätere Eigentümer Sonderland, Diepenbeck, jetzt Böger, wird für das Jahr 1830 als Besitzer Gutsbesitzer Julius Stern, Jude in Soest, genannt.

In der Zeit der hessischen Landesherrschaft in unserer Region mussten laut Anordnung vom 15.12.1808 geänderte deutsche Namen führen.

Für das Jahr 1846 waren die Metzger Aser Löwenstein, der Kaufmann Heinemann Stern und der Tagelöhner Samuel Wolf als in Oestereiden ansässige Juden verzeichnet. Später waren die Familien Freund, Klestadt und Sachs hier registriert.

Beruflich betätigten sich die in Oestereiden ansässigen Juden im Handel mit Waren des täglichen Bedarfs, vor allem aber mit Vieh u. Tierfellen, sie arbeiteten auch als Metzger, Lumpensammler und Tagelöhner.
Beispiele:
1857 betrieb Asser Löwenstein (Haus Nr. 87) einen „Hökerhandel“ (=diverse Kleinwaren). Heinemann Stern (Haus Nr. 80) handelte mit „Ellen und Spezereiwaren“. Ein anderer Heinemann Stern (Haus Nr. 89) betätigte sich im gleichen Jahr als Fleischer.
Moses Freund war 1863 Fleischer und betrieb später im Haus Nr. 82 (heute Geseker Str. 1) einen „Handel mit Vieh, Manufactur-Waaren und rohen und gegerbten Fellen, Wolle, Korn u. Drillig“. Aron Stern und die Witwe Samuel Wolf betätigten sich 1864 als Hausierer. 1875 betrieben die Gebr. Klestadt eine „Manufactur- und Colonialwarenhandlung“, 1877 einen „Kleinhandel mit geistigen Getränken“.
Die hier angegebenen gewerblichen Tätigkeiten bedeuten nicht unbedingt, dass diese wirtschaftlich ertragreich waren. Häufig fristeten sie ein Leben am oder unterhalb des Existenzminimums.
Zeitweise lebten einzelne Personen auch von Almosen.

Die Wohnungen der Juden in Oestereiden sind mit einer Ausnahme nicht mehr nachzuweisen.
Bekannt ist, dass die Familie Freund das Haus Nr. 82 (= heute Geseker Straße Nr. 1, später Vogt dann Röbbecke) bewohnte.
Teilweise wohnten die Juden auch zur Miete, so z.B. 1850 bei einem Johann Schäfers.
In Oestereiden wurde im Volksmund die heutige Blumenstraße als „Judenstraße“ bezeichnet. Es ist nicht nachzuweisen, dass in dieser Straße Juden gewohnt haben.
Die Kinder der jüdischen Familien besuchten im Regelfall die örtlichen katholischen Schulen. Den jüdischen Religionsunterricht erteilten die Eltern. Vereinzelt besuchten die jüdischen Kinder auch die Schulen in Rüthen bzw. Erwitte.
Für den Verlauf des 19. Jahrhunderts waren in Oestereiden um die 20 bis maximal 25 jüdische Mitbürger verzeichnet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm diese Zahl ab: für 1895 sind nur noch drei Einwohner mit jüdischem Glauben verzeichnet.

Über die Gründe für den Wegzug der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger kann nur spekuliert werden.
Die beruflichen Möglichkeiten waren in unserer Region auf Grund der dünnen Besiedlung sicher stark eingeschränkt. Ein Handelsgeschäft gleich welcher Art verspricht in Ballungsräumen eine bessere Perspektive zu besitzen.
Inwieweit antisemitische Tendenzen für den das Verlassen der Region ausschlaggebend waren, kann nicht nachgewiesen werden. Diese Tendenzen waren in der christlich geprägten Gesellschaft, auch in unserer Region, vorhanden.
Anhand der bekannten Quellen lässt sich jedoch nicht nachweisen, dass solche Tendenzen für den Fortgang der Juden aus Oestereiden verantwortlich waren.

2. Der jüdische Friedhof in Oestereiden

Im Südwesten von Oestereiden nahe des Papenweg  an der Kreuzung Ringer Straße/ Im Rosengarten befindet sich der jüdische Friedhof.

Um ca. 1700 errichtet, war dieser Friedhof auch der Begräbnisplatz  für Juden aus Oestereiden. Einen eigenen jüdischen Friedhof gab es in Heddinghausen, der jedoch nicht mehr existiert, sich jedoch noch lokalisieren läßt.

Ursprünglich war der Friedhof 745 qm groß und war immer im Eigentum der Gemeinde Oestereiden.

In zeitgenössischen Quellen wurde der Friedhof als „Totenhof“ bezeichnet.

1910 fand hier die letzte Beerdigung statt.

Nach neuen Recherchen unseres Stadtarchivars Friedhelm Sommer sind zwischen 1700 und 1910 20 – 25 Bestattungen hier nachweisbar.

Die Nationalsozialisten ließen das Gräberfeld räumen. Die Grabsteine wurden zum Bau von Behelfsheimen sowie beim Bau des Kindergartens (= Standort damals beim jetzigen Kinderspielplatz am westlichen Rand der Grundschule) verwendet. Die hier eingesetzten Grabsteine wurden beim Abriss entfernt. Übrig blieben vier Grabsteine, die zunächst ungeordnet herumlagen.

Nachdem sich die jüdische Gemeinde Paderborn 1958 über den Zustand des Friedhofes beklagt hatte, begann ein Debatte über die Zukunft des Friedhofes. Die Gemeindevertretung Oestereiden und Amtsvertretung Rüthen war der Meinung, dass der Friedhof „untergegangen“ sei und nicht mehr instandgesetzt werden müsse.

Anders war die Meinung der Bezirksregierung Arnsberg, die die Auffassung vertrat, der Friedhof sei erhaltenswert und müsse instand gesetzt werden.

Dieses wurde dann auch umgesetzt. Der jetzt 50 qm große Platz ist in einem gepflegten Zustand und seit 1986 in die Denkmalliste der Stadt Rüthen eingetragen.

Leider hat ein Sturm zu Jahresbeginn 2019 die den Friedhof prägenden Trauerweiden umgeweht. Die Grabmäler wurden nicht beschädigt. Die Umzäunung wurde sofort wieder instand gesetzt. Im Herbst sollen die Bäume durch Neuanpflanzungen ersetzt werden.

Vier Grabmäler aus dem 19. und 20 Jahrhundert sind erhalten.

Dieses sind:

  • Adelheid Benjamin, geboren 1795, gestorben 1866
  • Heinemann Stern, geboren 1792, gestorben 1867
  • Moses Freund, geboren 1829, gestorben 1901
  • Emilie Freund, geborene Loeb, geboren 1822, verstorben 1910

3. Das jüdische Gebetshaus in Oestereiden

Die jüdische Gemeinschaft in Oestereiden verfügte über ein eigenes Gebetshaus (= Gebetslocal genannt).

Im Haus der Familie Freund gab es diesen Gebetsraum. Das Haus ist in veränderter, umgebauter Form noch erhalten. Es handelt sich um das Haus in der Geseker Straße 1, bis 2019 im Eigentum der Familie Röbbecke.

Von der jüdischen Familie Freund  wurde der Gebetsraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Auch die Juden aus Langenstraße – Heddinghausen benutzten dieses Gebetshaus.

Seit 1854 gehörte die jüdische Gemeinde Oestereiden zum Synagogenbezirk Rüthen – Anröchte

1909 verkaufte die Witwe Emilie Freund das Haus an den Schreiner Vogt, der es danach erweiterte.

Emilie Freund verstarb ein Jahr nach ihrem Wegzug und wurde auf Initiative ihrer Kinder auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt. Dieses war die letzte Beerdigung, die hier stattfand.

Leider sind die früher im Gebetsraum vorhandenen jüdischen Symbole nicht mehr vorhanden: Auf Druck der Nationalsozialisten wurden diese entfernt.

4. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und der Holocaust

Zu Zeiten des Nationalsozialismus lebten keine Juden mehr in Oestereiden. Aus vermutlich wirtschaftlichen Gründen waren diese gegen Ende des 19. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts weggezogen.

Dem Bundesarchiv ist zu entnehmen, dass sechs Juden, die in Oestereiden im 19. Jahrhundert geboren wurden, Opfer des Holocaust wurden:

Freund, Abraham
geboren am 22. Januar 1882 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Ahlen
Todesdatum: 12. Oktober 1942
Todesort: Berlin
Schicksal: Flucht in den Freitod

Freund, Louis
geboren am 01. März 1874 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Berlin (Charlottenburg)

Todesdatum: 11. November 1938
Todesort: Berlin
Schicksal: Flucht in den Freitod

Goldschmidt, Caroline Lina
geborene Freund
geboren am 06. März 1879 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Berlin (Wilmersdorf)

Deportation: ab Berlin
Todesdatum: 14. Dezember 1942, Auschwitz, Konzentrations-und Vernichtungslager

Grüneberg, Emma
geborene Wolff
geboren am 14. Dezember 1872 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Dortmund

Deportation:
ab Dortmund
29. Juli 1942, Theresienstadt, Ghetto
15. Mai 1944, Auschwitz, Konzentrations- und Vernichtungslager

Metzger, Jette Jenny
geborene Freund
geboren am 17. Juni 1876 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Ahlen, Wanne-Eickel und Berlin

Deportation:
ab Berlin
02. April 1942, Warschau, Ghetto

Meyerson, Aline Alina Emma
geborene Stern
geboren am 13. Juli 1870 in Östereiden / Lippstadt / Westfalen
wohnhaft in Bielefeld
Todesdatum: 22. November 1938
Todesort: Bielefeld
Schicksal: Flucht in den Freitod

Quellen:

  • Friedhelm Sommer, Archivar der Stadt Rüthen, Juden in Oestereiden,   Unveröffentlichtes Manuskript 2019
  • Stadtarchiv Rüthen, Amt Rüthen A 260-262, 264, 265-267, 274, 518, 523-526
  • a.O., Jüdisches Familienregister des Amtsgerichts Erwitte
  • Amtsblatt der kgl. Regierung zu Arnsberg 1846
  • Pracht-Jörns, Elfi, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil V: Regierungsbezirk Arnsberg, Köln 2005
  • Göttmann, Frank (Hg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen-Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Münster 2016
  • ruethen.de/BildungundKultur, Jüdischer Friedhof Oestereiden u. dortiger Link zum Steinheim-Institut (Ausgabe 2019)
  • Schlootkötter, Hültenschmidt, Geschichte des Kirchspiels Hoinkhausen, Lippstadt o.J.
  • Stadtarchiv Rüthen, Mutterrolle Oestereiden 1895/96
  • Bundesarchiv, Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus, 1933 – 45 (www.bundesarchiv/gedenkbuch)
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